Sunday, August 08, 2004

Antijudaismus im Inet

1 Rassismus und Antijudaismus im Internet

WWW, Protokolle und Anwendungen dienen der Funktionalität globaler Netzwerke, deren Internationalisierung einer demokratischen Intention einen virtuellen Raum schafft, welcher Wissen kommuniziert und damit zu einer Disziplin der sozial- und kulturanthropologischen Forschung werden kann. Meine Datenerhebung von November 2003 bis Februar 2004 beschränkte sich auf ausgewählte Diskussionsforen, die ich bereits einige Jahre vor meiner wissenschaftlichen Arbeit frequentierte, beobachtete, und gegebenenfalls an einem Meinungsaustausch teilnahm. Dabei fielen mir immer wieder Diskutanten auf, die ihre engstirnigen, diskriminierenden Ansichten zu verbreiten suchten.

Mein erster theoretischer Ansatz basiert auf der Problematisierung politischer Propaganda in Medien. Wesentlich dabei ist, möglichst viele Menschen mittels gezielt eingesetzter Strategien zu erreichen, Stereotype zu verbreiten, diese zur Produktion von Kontinuität in einen historischen Kontext zu zwingen, damit letztlich unbewußte Prozesse des Individuums durchbrochen und kontrolliert werden können. Deswegen meine ich, dass rassistische Akteure das Internet mit dem Zweck adaptierten, diskriminierende Inhalte möglichst unaufällig, zudem selbst noch unerkannt, zu distribuieren. Zweitens lassen die erhobenen Daten eine längst schon überwunden geglaubte Emotionalisierung erkennen, die die Anonymität des Internets in ein bedrohliches Szenario pervertiert. Der Ort WWW entbehrt realer, sozialer Kontakte, Orientierung und " Deindividualisierung" werden Aspekte von " reduced social cues" ( Vgl. HINE 2000: 14 ff.). Eine von Amateuren und professionellen Webautoren geschaffene, virtuelle, Realität, stellt die Authentizität und Identität derer in Frage, die sie benutzen. " They are free to select, from the range of resources available to them, those that appear most appropriate to convince their imagined audience in each ( imagined) circumstance." ( HINE 2000: 139). Das Literaturstudium zur Thematik erwies sich als sehr umfangreich, und im Folgenden sollen die wichtigsten " notions" unter Berücksichtigung historischer Aspekte ausgeführt werden.

2 Antijudaismus

Vorstellungen von der " Reinheit" des Blutes gelten als Vorraussetzung für eine " höhere Geistigkeit", welche durch die Konkurrenz des Christentums mit dem Judentum bereits im ersten Jahrhundert nach Christus dokumentiert ist. " Im antisemitischen Rassismus findet die "Reinigung" weniger durch einen Akt der " Vergeistigung" statt, sondern sie vollzieht sich auf völlige irdische, sichtbare Weise: Das Blut, die Rasse sollen befreit werden von allen " Elementen", die sie " beschmutzen" oder " vergiften"." ( BRAUN/ HEID 2000: 153). Der Begriff "Antisemitismus" wurde 1879 von Wilhelm Marr geprägt, in seiner Hetzschrift "Der Sieg des Judentums über das Germanentum". Die Distribution antijudaistischer Stereotype erfolgte durch die Jahrhunderte mittels Zeitungen, Postkarten, aber auch " Wandbehängen", nachdem bereits Tacitus in einer seiner Reden von „proiectissima ad libidinem gens“ spricht. Flugblätter, Karikaturen oder die Zeitschrift " Simplicissimus" ( 1866) stellen explizit Menschen mosaischen Glaubens als Schweine dar, oder popularisieren eine Assoziation mit der Entwicklungsstufe von Primaten. Teufelsdarstellungen ähnlich, wurde dunkle Haut mit Unreinheit und schlechten Eigenschaften in Verbindung gebracht. Die Grundlagen rassistischer und antijudaistischer Propaganda manifestierten sich in medialer Weise durch Diffamierungen, wie " Luftmenschen", " bleiche Massen aus dem Osten", " Kaffehausjuden", " Muskeljudentum", " Christuskreuziger", " Ungläubige", " Volksschädlinge", " Kulturzersetzer", " Untermenschen" oder " Weltverschwörer". Die Basis für die Entwicklung eines Konzepts von " Rasse" bilden historische Romantizismen, aber auch Johann G. Herder ( 1744- 1803). Die " organische" Theorie postulierte eine unüberwindliche Kluft zwischen Menschen, wegen Herkunft und Natur, die das Individuum klassifizierend als Teil des " Volkes" definierte. Johann F. Blumenbach ( 1752- 1840) schrieb in " Decas quarta collectionis suae craniorum diversarum gentium illustrata" über fünf " Rassen" der Menschheit, die sich unter anderem durch Nasenknochen, Schädelform und Kopfgröße unterschieden. Die Mitglieder der " Christlich- Deutsche Tischgesellschaft" setzten im Vereinsstatut einen " Arierparagraphen" ( 1811) fest, der im 20. Jahrhundert die " Sozial- und Rassehygiene" untermauerte ( 1)."Kriminologische" und " kraniologische" Forschung führten zu den ersten " wissenschaftlichen Gutachten", die Annahmen der " genetischen Minderwertigkeit" zu §3 des Gesetzes zur " Wiederherstellung des Berufsbeamtentums". " Der rassistische Antisemitismus trat also an, einem Abstraktum, einer Idee, ein materielles Kleid zu verleihen. Aber diese Materialisierung der Idee hatte ebensowenig mit Natur oder Realität zu tun wie das Abstraktum, aus dem sie hervorgegangen war." ( BRAUN/ HEID 2000: 196).

Mit der Gleichschaltung der Medien manifestierte die nationalsozialistische Diktatur absolute Kontrolle und die Einsetzung der Tötungsindustrie. Nicht erst seit dem Besuch des Grossmufti bei einem totalitären Regime, zeichnet sich eine Solidarisierung ab, die auch im 21. Jahrhundert diskutiert wird: Islamistischer Antijudaismus und seine fundamentalistischen Folgen erschüttern die Weltöffentlichkeit. Uralte Vorurteile sind in arabischen Medien (2) zu lesen, die Hetze nimmt kein Ende. " Rassismus ist die Biologisierung des Sozialen, aber gemieden wird heute eine Wortwahl, die an die nationalsozialistischen Verbrechen erinnert, von Kultur wird gesprochen, als wäre sie eine biologische, genetische, naturgegebene Konstante. Das Wort "Fremdenangst" verschleiert hierbei mehr als es enthüllt. So Doron Rabinovici in seinem Artikel " Rassismus und Antirassismus als Verbindendes zwischen Kulturen". In seinem Buch " Instanzen der Ohnmacht" ( 2000) kann er zudem evidieren, daß der Mensch durch die nationalsozialistische Vernichtungspolitik sogar noch der Würde des Opfers beraubt wurde ( Vgl. RABINOVICI 2000: 9). Mit der Etablierung des Internets fand die nationalsozialistische Propaganda ein neues Medium zur professionellen Distribution antijudaistischer Inhalte. Parolen, Symbole und rassistische Stereotype können seitdem anonym veröffentlicht, von jedem Internetbenutzer ebenso unerkannt konsumiert werden. Der Philologe Viktor Klemperer spricht von voces populi: " Der bösartige Superlativ der LTI ist für Deutschland eine erstmalige Erscheinung, deshalb wirkt er vom ersten Augenblick an verheerend, und danach liegt es eben zwanghaft in seiner Natur, daß er sich immerfort bis zur Sinnlosigkeit, bis zur Wirkungslosigkeit, ja bis zur Bewirkung des seiner Absicht entgegengesetzten Glaubens übersteigern muß." ( KLEMPERER 2001: 285). Eine rechtliche Handhabe scheint schwierig, und Krölls ( FLATZ/ RIEDMANN/ KRÖLL 1998: 21 f.) Begriff der " Datenoasen" illustriert die Problematik einzelner Nationen bezüglich fehlender Gesetze zur Regulierung der Globalen Informationsinfrastruktur ( GII). Besonders oft findet der Recherchierende Leugnungen des Holocaust .
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1 Siehe dazu auch Shoa.de, wie beispielsweise den Artikel von SCHÄEFER, Julia: Das antijüdische Stereotyp.
http://www.shoa.de/antisemitische_stereotypen.html ‏2004‏-03‏-02‏ 7: 39 PM
2
http://www.nahost-politik.de/hetze/arabische-medien-1.htm ‏2004‏-03‏-02‏ 8: 36 PM


3 Das Internet

Einen Überblick zu Online Ressourcen und Internet Diensten bieten diverse Arbeiten, die im Internet selbst archiviert, zum Beispiel bei Mnemopol ( 3 )im PDF-Format, abzurufen sind. Diskriminierende Webseiten sollen hier weder erwähnt, noch abgebildet werden. Das Internet als Phänomen des ausgehenden zwanzigsten Jahrhunderts spiegelt der Menschen kognitive Prozesse wieder, und die Idee der menschlichen Kommunikation ohne Unterschied, allzeitlich, überall, universell. " If media, by definition, translate/ negotiate/ intervene between parties to effect understanding ( as the dictionary definition of " mediate" reveals), then they can be considered extensions of anthropology, a discipline devoted to the translation of cultures." ( ASKEW 2002: 11 f.). Fragen nach dem Verhältnis zwischen Sinngebung und Kultur, der Beziehung zwischen Sinnstrukturen, sozialen Machtverhältnissen und deren Legitimations-zusammenhängen können im WWW nachvollzogen werden.
" L'universel abrite l'ici et maintenant de l'espèce, son point de rencontre, un ici et maintenant paradoxal, sans lieu ni temps clairement assign-able. (4)" Individuelle und geographische Grenzen, wie auch semiotische Barrieren, werden überwunden: " Instead, communities are being constructed in cyberspace on the basis of common affiliative interests, transcending boundaries of class (5), nation, race, gender, and language." Dieser integrative Aspekt des WWW wandelte sich mit der Entwicklung der Technik und erfuhr eine Änderung in der Sinngebung. " Ich lebe so oft, wie ich durch Vernetzung an Verknotungen teilnehme.( 6)"

Anhand von Studien in Südostasien beweist Paula Uimonens, daß transnationale Netzwerke die soziale Entwicklung fördern können. In ihren Feldforschungen in Malaysia und Laos untersucht sie Konnektivität und Modernisierung in Ländern mittleren Entwicklungsstandes nach dem Human Development Index 2003 des UNDP ( 7). Zahlreiche Initiativen lassen hoffen: Das Forum gegen Antisemitismus, das Online Magazin Hagalil, der Verein ZARA und die Israelitische Kultusgemeinde ( IKG) leisten offensive Aufklärungsarbeit mit dem Ziel, einschlägige Webseiten zurückzudrängen und anzuzeigen. " But because anthropology passed through many stages of theoretical awareness before coming to terms with the challenges entailed in translating cultures in as ethical, sensitive, respectful, self- critical, dialogic, and collaborative a manner as possible, there is reason to hope that media practitioners will eventually reach a similar position." ( ASKEW 2002: 11 f.).
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3
http://www.mnemopol.net ‏2004‏-03‏-02‏ 8: 43 PM
4 Levy, Pierre: La cyberculture ou la tradition simultanée
URL:
http://www.archipress.org/levy/cyberculture/cyberculture.htm ‏2004‏-03‏-02‏ 8: 53 PM
5 Mizrach, Steve: Cyber Anthropology URL:
http://www.fiu.edu/~mizrachs/CyberAnthropology.html ‏2004‏-03‏-02‏ 9: 00 PM
6 Flusser, Vilem: Nächstenliebe im elektronischen Zeitalter
URL:
http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/co/2030/1.html ‏2004‏-03‏-02‏ 8: 58 PM
7
http://www.undp.org/hdr2003/ ‏2004‏-03‏-02‏ 9: 05 PM

4 Datenerhebung
4. 1 Methode
Sprache und Stereotype des Rassismus können mittels einer systematischen Kontrolle von Diskussionsforen und Verteilerlisten gesammelt werden. Das Drucken dieser Nachrichten ist teilweise aufgrund gesetzlicher Bestimmungen oder Netiquette nicht erlaubt, sodaß die zur Verfügung stehenden Materialien in die Arbeit mit Verweis oder im Original zitiert wurden. Die Webseite der österreichischen Partei " Die Grünen" bietet ein Diskussionsforum, welches von Sympathisanten und politischen Gegnern benutzt, Kommentare diverser politischer Aktualitäten dokumentiert. Das Messageboard der Israelitischen Kultusgemeinde Wien und die Foren der Seite Hagalil veranschaulichen Diffamierungen und Statements in verschiedenen Bereichen, vor allem aber auch die Reaktion aus emischer Sicht. Emisch bezeichnet in diesem Zusammenhang die Gruppe der von Stereotypen Diskriminierten. Newsgroups, durch den Provider Chello zu beziehen, beinhalten oft Hinweise bezüglich der Illegalität der Rezeption, genauer des Druckens und der Vervielfältigung der Inhalte in bestimmten Ländern, wie Deutschland, der Schweiz und Österreich: " NOTE: Do not print this out if you reside in Austria; Belgium; France; Germany; Israel; Spain or Switzerland. WARNING: To People in Austria; Belgium; France; Germany; Israel; Spain and Switzerland. You can be fined imprisoned or both for discussing the topics set forth in this article." Ich nahm an Diskussionen kaum Teil, sondern versuchte mit den Verantwortlichen der Boards Kontakt aufzunehmen. Von mir per Email versendete Fragen wurden nicht beantwortet, und zwar zu einhundert Prozent. Ich kann aufgrund meiner Beobachtung auch feststellen, daß kaum Gegenmaßnahmen ergriffen werden, lediglich internationale Domains strichen gemeldete Daten aus ihrem Angebot.

...
6 Quellen
6. 1 Internet

6. 1. 1 Center for Holocaust & Genocide Studies: Visualizing Otherness
URL:
http://www.chgs.umn.edu/Histories__Narratives__Documen/histories__narratives__documen.html
6. 1. 2 Chello Newsgroups Server: news.chello.at
6. 1. 3 Die Grünen: Open Forum
URL:
http://www.gruene.at/openforum/header.php?site=gruene&bn=gruene_openforum
6. 1. 4 Flusser, Vilem: Nächstenliebe im elektronischen Zeitalter
URL:
http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/co/2030/1.html
6. 1. 5 IKG Wien: Messages
URL:
http://www.ikg-wien.at/static/ober/html/n_index.htm
6. 1. 6 Levy, Pierre: La cyberculture ou la tradition simultanée
URL:
http://www.archipress.org/levy/cyberculture/cyberculture.htm
6. 1. 7 Mizrach, Steven: Cyber Anthropology
URL:
http://www.fiu.edu/~mizrachs/CyberAnthropology.html
6. 1. 8 Mnemopol:
http://www.mnemopol.net
6. 1. 9 UNDP: Human Development Report
URL:
http://www.undp.org/hdr2003

6. 2 Printmedien

ASKEW, Kelly & WILK, Richard R.: the anthropology of media.
2002 Malden, USA: Blackwell

BRAUN, Christina von & HEID, Lutger: Der ewige Judenhaß.
2000 Berlin/ Wien: Philo Verlag.

BUDKA, Philipp: Evaluation von Online Ressourcen- Ein Überblick.
2001 Universität Wien: Mnemopol Archiv # 320.

CZECH, Herwig: Erfassung, Selektion und " Ausmerze".
2003 Wien: Verein für Geschichte der Stadt Wien, & Deuticke.

FLATZ, Christian & RIEDMANN, Sylvia & KRÖLL, Michael: Rassismus im
virtuellen Raum. 1998 Hamburg: Argument Verlag.

HINE, Christine: Virtual Ethnography.
2000 London: Sage Publications.

KLEMPERER, Viktor: LTI- Lingua Tertii Imperii.
2001 Leipzig: Reclam Verlag, 19. Auflage.

RABINOVICI, Doron: Instanzen der Ohnmacht.
2000 Frankfurt am Main: Jüdischer Verlag Suhrkamp.

ZAUSNIG, Gertrud: Weibliche Spiritualität im Internet- Genderrollen, Symbole
und implizierte Machtverhältnisse. 2003 Universität Wien: Diplomarbeit.

ZEGLOVITS, Wolfgang: Kognitive Landkarten und das World Wide Web.
1999 Universität Wien: Diplomarbeit.

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posted by Sybil Amber at 8/08/2004 06:45:00 PM

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